Schuldenbremse des deutschen Staates


Es gab in den letzten Jahren kaum ein anderes Urteil des Bundesverfassungsgerichts, was so weitreichende Konsequenzen für die deutsche Regierung hatte, als die Entscheidung des 15. Novembers 2023: Der zweite Nachtragshaushalt des Jahres 2021 wurde für verfassungswidrig erklärt. Als Ursache wurde ein Verstoß gegen die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse (Art. 109 und Art. 115) angeführt. Die Bundesregierung wollte mit 60 Milliarden Euro aus ungenutzten Corona-Krediten den Klimafonds füllen. Folglich war klar, dass letztlich auch das Sondervermögen der Regierung für 2023 und 2024, das insbesondere für die Bundeswehr und die Klimapläne der Regierung vorgesehen war, von diesem Urteil betroffen sind. Die Regierung musste somit kurzfristig einige Einsparungen vornehmen, was wiederum den Unmut einiger Bürger (Stichwort: Bauernproteste) nach sich zog. Doch wie funktioniert die Schuldenbremse? Darf der deutsche Staat keine Schulden mehr machen? Wie sehen die Ökonomen im Hinblick auf finanzielle Stabilität und Konjunktur die Maßnahmen?

Am 12. Juni 2009 verabschiedete der Bundesrat eine Änderung des Grundgesetzes, die den Weg für die Einführung der sog. Schuldenbremse frei machte. Mitten in der Finanzkrise wollte die deutsche Regierung ein Zeichen damit setzen, um die Bonität von Bund und Ländern langfristig zu sichern, indem der Neuverschuldung klare Grenzen gesetzt wurden. Die Schuldenbremse findet sich in den Artikeln 109 und 115 des Grundgesetzes. Sie besteht aus zwei Komponenten: Die erste Komponente ist struktureller Natur und beschränkt die Möglichkeit der Neuverschuldung auf 0,35% des nominellen Bruttoinlandsprodukts pro Jahr. Die zweite Komponente orientiert sich am Wirtschaftswachstum und erlaubt der Regierung die Aufnahme zusätzlicher Schulden im Falle eines konjunkturellen Abschwungs in Deutschland. Diese zusätzlichen Schulden müssen aber bei einer wirtschaftlichen Erholung wieder getilgt werden. Des Weiteren gibt es eine Sonderklausel („escape clause“), die es der Regierung ermöglicht, dass sie die Schuldenbremse im Falle außergewöhnlicher Notsituationen mit der Zustimmung der einfachen Mehrheit im Bundestag aussetzen kann. Durch diese Klausel konnte die Regierung die Schuldenbremse für die Jahre 2020 bis 2023 temporär außer Kraft setzen (Corona-Krise, Ukraine-Krieg inkl. Energiekrise). Die Verwendung der zusätzlichen Schulden in einer Notlage ist auf die Bewältigung der Krise beschränkt und darf nachträglich nicht zweckentfremdet werden, wie das Bundesverfassungsgericht mit dem Beschluss im November letzten Jahres verdeutlichte. Die komplette Abschaffung der Schuldenbremse kann nur von einer verfassungsändernden 2/3-Mehrheit im Bundestag beschlossen werden.

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird in den Medien über den Sinn der Schuldenkrise diskutiert. Die Ökonomen haben dabei teilweise komplett konträre Ansichten zu diesem Thema. Das ifo-Institut hat zwischen dem 28. November und dem 5. Dezember 2023 dazu eine Umfrage durchgeführt, an der 187 VWL-Professorinnen und Professoren teilnahmen. Auf die Frage, ob die aktuelle Schuldenbremse beibehalten werden sollte, antworteten 48 % mit „Nein“, 44 % der Befragten meinten, sie sollte abgeschafft und reformiert werden, und 6 % befürworteten eine komplette Abschaffung. Unter den Ökonomen, die für eine Reform stimmten, befindet sich ein signifikanter Anteil, der sich mehr finanziellen Spielraum für Investitionen ausspricht. Zudem solle die konjunkturelle Komponente der Schuldengrenze großzügiger ausgestaltet sein, d.h. in schwierigen Wirtschaftszeiten soll die Regierung mehr Möglichkeiten haben, schuldenbasierte Konjunkturmaßnahmen zu treffen. Die Umfrage zeigt die Problematik, die sich aus wirtschaftlicher Perspektive ergibt: Auf der einen Seite gibt die Schuldengrenze den langfristigen Investoren eine gewisse Sicherheit, dass sich der deutsche Staat langfristig im Vergleich zu anderen Staaten in einer relativ soliden finanziellen Situation befinden wird. Dies schafft Vertrauen, insbesondere für große ausländische Investoren. Gleichzeitig werden aber staatliche Investitionen in den Bereichen der Energiesicherheit, der Digitalisierung, etc. maßgeblich gekürzt oder nach hinten geschoben. Somit könnte der Wirtschaftsstandort im internationalen Vergleich an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Schuldengrenze einen wichtigen Faktor für die finanzielle Stabilität darstellt. Jedoch sollte auch bedacht werden, dass die Investitionstätigkeit des Staates zur Verbesserung der Innovationskraft und Wirtschaftsstärke darunter leiden und daher eine Modifizierung der aktuellen Schuldenbremse Sinn ergeben könnte.       

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