Notenbank-Dilemma: Folgen für die Aktienmärkte


Diese Woche stehen die Entscheidungen der EZB und der Fed auf der Agenda. Es wird erwartet, dass beide Notenbanken die Leitzinsen um 25 Basispunkte erhöhen und damit ihren Willen zur Bekämpfung der Inflation untermauern. Gleichzeitig wird aber in der Realwirtschaft beobachtet, dass die weltweiten Indikatoren immer mehr eine bevorstehende Rezession ankündigen. In China sinken die Erzeugerpreise aufgrund der schwachen Nachfrage in Rekordgeschwindigkeit. Der Immobilienmarkt kommt trotz staatlicher Hilfen nicht auf die Beine und leidet noch unter der Schieflage zahlreicher Immobilienentwickler wie China Evergrande. Gleichzeitig steigt die Jugendarbeitslosigkeit nach offiziellen Zahlen auf 21,3 % und selbst gut gebildete Bürger finden oftmals keinen Job. In der Eurozone ist die Lage nicht ganz so prekär, jedoch zeigen die neuesten Einkaufmanagerindizes, dass die Unternehmen sich auf eine Kontraktion der Wirtschaft im zweiten Halbjahr einstellen. Insbesondere die Stimmung im verarbeitenden Gewerbe, allen voran die deutsche Industrie, schaut immer pessimistischer in die Zukunft. Vor diesem Hintergrund muss die Frage gestellt werden, ob die EZB und die Fed mit weiteren Zinserhöhungen gerade dabei sind, den Bogen zu überspannen?

Aus dem historischen Blickwinkel hat der aktuelle Zinserhöhungszyklus eine sehr rasante Geschwindigkeit: Die Fed hatte im März 2022 zum ersten Mal die Fed Funds Rate von 0 % - 0,25 % auf 0,25 % - 0,5 % angehoben, am Mittwoch wird sie voraussichtlich den Leitzins auf 5,25 % - 5,5 % erhöhen. Die EZB hat sogar erst im Juli 2022 mit den Zinserhöhungen begonnen. Das Problem dieser schnellen Zinsanhebungen liegt auf der Hand: Die Auswirkungen auf die Refinanzierungskosten der Unternehmen und der Immobilienbesitzer werden im Zeitverlauf nur allmählich sichtbarer. Der Großteil der bestehenden Kredite wurden in der langen Niedrigzinsphase abgeschlossen und muss erst in den nächsten Jahren Stück für Stück refinanziert werden. Die Notenbanken haben im Sinne der Inflationsbekämpfung aber schlichtweg nicht die Zeit, um die nachhaltigen Auswirkungen der raschen Zinswende auf die Kreditmärkte abzuwarten. Daher müssen sich die Notenbanken entscheiden: Den Bürgern und den Märkten signalisieren, dass sie alles Notwendige machen, um die Inflation relativ schnell einzudämmen, bevor sich die hohen Inflationserwartungen bei allen Beteiligten nachhaltig festsetzen. Dadurch besteht die Gefahr einer „harten Landung“ mit Rezession und hohen Kreditausfällen. Oder die Notenbanken versuchen über ein moderates Zinsniveau die Inflation im Zaum zu halten. Jedoch würden sie mit dieser Politik in der aktuellen Lage der Arbeitsmärkte in den USA und der Eurozone wohl einen zu geringen Einfluss auf die Lohnverhandlungen und die Preisgestaltung der Firmen ausüben, d.h. die Lohn-Preis-Spirale und die „Gierflation“ der Unternehmen würde im selben Ausmaße fortgeführt werden.

Letztlich ist der Sinn und Zweck einer Notenbank, dass sie für eine langfristige Geldwertstabilität sorgt. Im Vertrauen auf der Erreichung dieses Ziels durch eine restriktive Geldpolitik in Inflationszeiten basiert auch die Kaufkraft der Währungen. Dieses Vertrauen wurde durch ein zögerliches Handeln 2021 und 2022 zum Teil verspielt, sodass die Konsequenz nur eine sehr restriktive Haltung zum aktuellen Zeitpunkt sein kann. Die Glaubwürdigkeit der Notenbanken ist der entscheidende Faktor, warum die Fed und die EZB sich weiter eher „hawkish“ präsentieren wird, trotz aller wirtschaftlichen Folgen. 

Die Investoren an den Aktienmärkten scheinen trotz der steigenden Leitzinsen und drohendem Wirtschaftsabschwung noch relativ gelassen zu sein. Der „Angstbarometer“ VIX, der die implizite Volatilität des S&P 500 misst, liegt auf dem niedrigsten Niveau Ausbruch der Corona-Krise. Aus Investorensicht wird immer ein entscheidender Grund genannt: Die aktuellen Gewinne der Unternehmen sind zum Großteil sehr solide, liegen teilweise sogar deutlich über den Erwartungen. Die Gegenwart und der positive Momentum-Effekt spielen eine wichtige Rolle in der aktuellen Psychologie am Aktienmarkt. Zudem sehen einige Investoren die Wirtschaftslage als positiv für die Aktienmärkte, da aus ihrer Sicht die schwache Konjunktur die Inflation zähmt und damit auch den Zinszyklus der Fed und der EZB bald beendet. Diese Sichtweise vertreten aber nicht alle sog. „Finanzexperten“. Viele Ökonomen und potentielle Investoren finden den Aktienmarkt als fundamental überbewertet und halten die Investoren, die aktuell noch einsteigen oder nachkaufen, für kurzsichtig und naiv. Sie argumentieren, dass die Auswirkungen der raschen Zinswende noch nicht in der Realwirtschaft angekommen sind und sich in den Bilanzen der Unternehmen auch noch nicht wiederspiegeln. Demensprechend seien die Gewinnprognosen für die nächsten Jahre viel zu hoch angesetzt und die aktuelle Wirtschaftsschwäche wäre erst der Beginn einer globalen Rezession, bei der dann die Notenbanken nicht als Retter in der Not mit der „Gelddruckmaschine“ den Markt stützen würden. Zudem sei der Liquiditätsentzug durch den Bilanzabbau der Fed und der EZB ebenfalls ein Faktor, der die Märkte in der Zukunft noch belasten könnte. Diese Argumente sollten von den „Bullen“ ernst genommen und im Zeitverlauf anhand der eingehenden Daten sorgfältig überprüft werden. Denn die aktuelle Gelassenheit und die sorglose Sommerlaune der Marktteilnehmer könnte in einem kräftigen Herbststurm enden. Der aktuelle Fear-and-Greed-Index lässt manchen Marktbeobachter an einen altbekannten Spruch von Warren Buffett denken: „Sei ängstlich, wenn andere gierig sind und sei gierig, wenn andere ängstlich sind“.

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