Aktienkurse und Zinsen: Warum reagiert der Aktienmarkt so sensibel?


Seit der Finanzkrise ist das Zinsniveau weltweit stetig gefallen und gleichzeitig sind die Aktienkurse immer weiter gestiegen. Egal ob Euro-Schuldenkrise 2012, Wirtschaftsabschwung in China 2015/2016, der Brexit, der Handelskonflikt von Donald Trump mit China 2018 oder die Corona-Krise 2020/2021 – kein Ereignis hat es geschafft, die Aktienrallye nachhaltig zu bremsen. Der Grund liegt eindeutig in der ultraexpansiven Geldpolitik und den damit verbundenen niedrigen Zinsen. Erst seit der Ankündigung der US-Notenbank im Januar dieses Jahres drehte der Zins- bzw. Anleihemarkt und damit auch der Aktienmarkt.

Doch warum genau reagieren Aktienkurse so empfindlich gegenüber Zinsänderungen? Oftmals wird in den Medien nur kurz erwähnt, das höhere Zinsen das Wirtschaftswachstum bremsen und aufgrund der schwächeren Erwartung, die Gewinnaussichten der Unternehmen sinken. Die genauen Gründe und Korrelationen sind in folgenden Punkten kurz und knapp zusammengefasst:

  • Investitionen der Unternehmen nicht mehr so profitabel: Das Wachstum der Unternehmen wird deutlich teurer, da die notwendigen Investitionen zum Großteil fremdfinanziert sind. Insbesondere die kleineren Tech-Unternehmen auf Wachstumsmärkten bekommen die höheren Zinskosten doppelt zu spüren, denn durch das steigende Zinsniveau erhöhen sich auch die Zins-Spreads (Zinsaufschlag für bonitätsschwächere Unternehmen).
  • Zinsaufwand für Immobilienfinanzierung steigt: Immobilienkäufer sind größeren Zinsaufwendungen ausgesetzt. Dadurch ergibt sich nicht nur der direkte Effekt, dass die Nachfrage auf dem Immobilienmarkt schwächelt, sondern auch ein indirekter Effekt: Die höheren monatlichen Kosten für die Häuslebauer/-käufer und Eigenheimbesitzer, die eine teure Anschlussfinanzierung abschließen müssen, führen zu einem sehr eingeschränkten Konsumverhalten in den nächsten Jahren. Dies belastet ebenfalls die Wirtschaft.
  • Refinanzierung der bestehenden Verbindlichkeiten der Unternehmen wird teurer: In der sehr langen Niedrigzinsphase haben die Unternehmen eine möglichst hohe Fremdfinanzierung angestrebt, da dieses Fremdkapital im Vergleich zu Eigenkapital extrem günstig war. Durch die Ausnutzung des Leverage-Effekts wurden dadurch die Renditen der Aktionäre „nach oben gehebelt“. Insbesondere in den USA haben die meisten NASDAQ-Unternehmen trotz fehlender Erträge im operativen Geschäft immer mehr Fremdkapital aufgenommen, um schneller zu wachsen und damit die Fantasie der Aktionäre zu beflügeln. Mittlerweile hat sich das Bild der Marktteilnehmer gedreht und die Zombiefizierung der Tech-Unternehmen wurde erkannt. Aber auch bei einigen Blue-Chips gibt es immer größere Bedenken bzgl. ihrer Bewertung. In den letzten Jahren haben viele Konzerne in den USA in großem Umfang Aktienrückkäufe getätigt. Allein im Jahr 2021 war es ein Volumen von 1.000 Milliarden $. Die Finanzierung dieser Aktienrückkaufprogramme erfolgte zumeist über Anleiheemissionen, d.h. durch Schuldenaufnahme. Das Ergebnis sind negative Eigenkapitalquoten, dies bedeutet eine bilanzielle Überschuldung, wie z.B. bei Boeing, Starbucks, McDonalds oder Home Depot.
  • Rückkopplungseffekte bei den Unternehmen und Staaten: Die steigenden Zinskosten und die schwächere Wirtschaft aufgrund fehlender Investitionen der Unternehmen schmälern den Unternehmensgewinn. Falls der Gewinn nicht ausreicht, müssen sogar neue Schulden gemacht werden, um die Zinskosten der alten Schulden zu bedienen. Insbesondere bei Unternehmen mit einem hohen Verschuldungsgrad führt dies zu einem Downgrade des Ratings. Die schlechtere Bonität hat wiederum einen höheren Zinsaufschlag bei der Refinanzierung zur Folge. Dieser Effekt greift ebenfalls bei den Staaten: Höhere Zinskosten und schwächeres Wirtschaftswachstum (weniger Steuereinnahmen, mehr Sozialleistungen) belasten den Staatshaushalt und führen zu einer höheren Neuverschuldung. Hochverschuldete Staaten verlieren damit weiter an Bonität und müssen noch höhere Zinsen zahlen. Diesen Effekt antizipiert der Markt bereits, wie am Beispiel von Deutschland und Italien zu sehen ist: Der Zins-Spread zwischen 10-jährigen deutschen und italienischen Anleihen lag Anfang des Jahres noch bei ca. 130 Basispunkten, aktuell liegt er über 200 Basispunkte.    
  • Höhere Attraktivität des Anleihemarktes für Investoren: Nicht nur in der Realwirtschaft, auch auf dem Finanzmarkt selbst ergeben sich Motive, um Aktien abzustoßen. Die höheren Renditen auf dem Anleihemarkt führen dazu, dass große Investoren ihr Portfolio umschichten: Aktien verkaufen, Anleihen kaufen. Bestes Beispiel sind die US-Staatsanleihen: Für den Käufer einer 3-jährigen Anleihe gab es vor einem Jahr noch 0,33 % Rendite p.a., momentan sind es fast 3,4 % pro Jahr. Die Rendite hat sich innerhalb von 12 Monaten verzehnfacht.

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