Die Geldpolitik der EZB: Die Folgen der Geldschwemme


Die Risiken am Aktienmarkt nehmen zu: Der Handelskrieg der USA mit China, der britische Premierminister Boris Johnson, der einen „harten“ Brexit befürwortet, und die drohende Rezession in der Eurozone erhöhen die Ängste vor einer länger anhaltenden Schwächephase der globalen Wirtschaft. In früheren Jahrzehnten wären die Kurse womöglich schon in den tiefroten Bereich gerutscht und die Marktteilnehmer hätten längst in sichere, festverzinsliche Wertpapiere umgeschichtet. Jedoch haben sich die Zeiten geändert.

Eine der Ursachen hierfür: Die Politik der Notenbanken in Europa, Asien (insb. Japan). Kritiker bemängeln, dass die Notenbanken seit der Finanzkrise 2008/2009 die Möglichkeit zum Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik verpasst haben. In der Folge ist der vermeintlich sichere „Anleihehafen“ für Investoren so unattraktiv wie nie zuvor. Das beste Beispiel geben Bundesanleihen: Wenn man dem deutschen Staat für die nächsten 10 Jahre Geld leiht, bekommt man nach 10 Jahren nominal weniger Geld zurück, als man dem Staat heute gibt (aktuelle Rendite p.a.: -0,4 %). Wenn nun die Inflation in den nächsten 10 Jahren durchschnittlich 1,5 % beträgt, dann ergibt sich eine Realrendite von -1,9 % pro Jahr. Mit Zinseszinseffekt ergibt das ein Kaufkraftverlust von fast 20 % in 10 Jahren. Allerdings gibt es auch Profiteure des aktuellen Zinsniveaus: Die Schuldner. Neben den Unternehmen und den Häuslebauern profitiert der deutsche Staat. Der Privatsektor gibt Kapital an den Staat und zahlt dafür noch Zinsen – optimale Umverteilung für die Regierung, ohne das ungeliebte Wort „Steuererhöhung“ zu benutzen. Diesvereinfacht die Einhaltung der Schuldenbremse natürlich enorm. Für viele Ökonomen bleibt die damit verbundene Politik der  „Schwarzen Null“ im Bundeshaushalt ein Rätsel. Denn die Finanzierung der Schuldenbremse kommt letztlich von den deutschen Bürgern, selbst wenn sie keine deutschen Bundesanleihen besitzen: Nullzinsen für Sparkonten, Tages- und Festgelder oder Anleihen, mickrige Renditen bei klassischen Produkten zur Altersvorsorge. Der Großteil des Geldvermögens der deutschen Bürger i.H.v. 6 Billionen € ist vom künstlich niedrigen Zinsniveau betroffen. Dadurch entgehen den Bürgern im Vergleich zum langjährigen Zinsniveau vor der Finanzkrise Zinseinnahmen im dreistelligen Milliardenbereich – und zwar Jahr für Jahr.

In Deutschland wurden die fehlenden Zinserträge in den Privatvermögen durch höhere Löhne und Gehälter sowie gestiegene Aktienkurse und Immobilienpreise kompensiert. Was passiert jedoch, wenn die Weltwirtschaft in die nächste Rezession rutscht? Die Arbeitslosigkeit würde steigen und die Einkommen der privaten Haushalte würden sinken. Denkbares Szenario in diesem Zusammenhang: Um die Deflation zu vermeiden, senkt die EZB die Leitzinsen noch weiter und legt ein neues Anleihekaufprogramm auf – negative Zinsen für die Ersparnisse der Bürger auf breiter Front wären die Folge. Die „Kapitalflucht“ in Aktien- und Immobilienmärkte wäre äußerst riskant, da diese Märkte in Zeiten der Rezession erfahrungsgemäß sehr volatil sind. Investments in Edelmetalle könnten zwar positive Renditen generieren, doch Edelmetallpreise unterliegen ebenso starken Schwankungen aufgrund von Großspekulanten.Kurzum: Sowohl Einkommen als auch angespartes Vermögen der privaten Haushalte würden sinken, gleichzeitig würde die Bankenkrise durch die Zinspolitik der EZB deutlich verschärft werden. Wenn dieses Szenario eintreten sollte, gäbe es zwei Möglichkeiten, um die Krise kurzfristig abzufedern:

  • Die EZB führt das sog. Helikoptergeld ein: Es gibt verschiedene Wege der Durchführung. Das letztliche Ziel ist, dass die Notenbank durch Finanzspritzen direkt an Staaten, Unternehmen oder private Bürger die Konjunktur ankurbelt. Eine populäre Variante sind Steuergutschriften, die durch die Notenbank finanziert werden.
  • Staatsverschuldung deutlich erhöhen: Der Staat könnte durch massive Investitionen, höhere Sozialleistungen und die Steuersenkungen die Binnennachfrage steigern. Die Finanzierung erfolgt durch die Emission neuer Staatsanleihen, deren Renditen sich in vielen Euroländern im negativen Bereich befinden und damit quasi eine Einladung für eine höhere Staatsverschuldung darstellen.

Beide Möglichkeiten haben letztlich denselben Gedanken: Die EZB schmeißt die Gelddruckmaschine an, entweder direkt über „Helikoptergeld“ oder indirekt über negative Leitzinsen und Staatsanleihenkäufe. Kurzfristig könnte diese Maßnahmen wieder die Konjunktur ankurbeln, aber mittelfristig würden sich unsere Währungshüter selbst große Probleme bereiten.

Laut Eurobarometer-Umfrage gaben dieses Jahr 43 % der Bürger in der Eurozone an, sie misstrauen der EZB; ebenfalls 43 % haben (momentan noch) Vertrauen in die Notenbank. Je länger und aggressiver die EZB ihre expansive Geldpolitik fortsetzt, desto größer wird der Vertrauensverlust der Euro-Bürger und Investoren außerhalb der Eurozone. Das Kapital würde zunehmend aus der Eurozone abwandern und in Regionen mit nachhaltiger Geldpolitik und höherer Renditeerwartung investiert werden.

Für Kritiker der derzeitigen EZB-Politik stellt sich daher die Frage, ob eine auftretende Wirtschaftskrise überhaupt durch die Notenbank abgefedert werden sollte. Nach ihrer Auffassung könnte die EZB auch schlichtweg die Füße stillhalten und damit die Abkehr von planwirtschaftlichen Maßnahmen signalisieren. Die freie Marktwirtschaft würde somit wieder das Geschehen bestimmen. Der sogenannte „Notenbank-Put“, d.h. die Wette auf weitere expansive Maßnahmen der Notenbank im Falle einer wirtschaftlichen Schwächephase, würde wegfallen und somit viele kurzfristige Spekulationen und damit einhergehende Verzerrungen am Markt verringern. Unrentable und hochverschuldete „Zombie“-Firmen würden Pleite gehen, sodass eine Marktbereinigung stattfindet und die Grundlage für zukünftige Produktivitätssteigerungen in Form durch Innovationen und Weiterentwicklungen gegeben ist. Die Marktteilnehmer würden mittelfristig wieder ein steigendes Zinsniveau erwarten, sodass insbesondere viele Unternehmen ihre Investitionen zeitlich nach vorne ziehen, um die günstige Refinanzierungsmöglichkeit während der Krisenphase noch auszunutzen.  

In diesem Szenario wäre kurzfristig durch die Abkehr von der extrem expansiven Geldpolitik ein massiver Abschwung an den Finanzmärkten und in der Wirtschaft zu erwarten. Mittel- und langfristig könnten sich aber wieder große Wachstumschancen für die Volkswirtschaft ergeben. Zudem wäre dann die Abhängigkeit der Wirtschaft von der Notenbank nicht mehr so groß, die Neuverschuldung der privaten Haushalte und der Unternehmen würde sich reduzieren und die Regierungen der (südlichen) Euro-Staaten müssten wieder eine restriktivere Haushaltspolitik betreiben. Ein Crash könnte demnach nicht das Problem, sondern die Lösung für nachhaltiges Wachstum in der Zukunft darstellen.

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